In seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 23. März 2020 zum Umgang von Organisationen mit Kriegen, Hungersnöten und Pandemien, zeigt der Organisationssoziologe Stefan Kühl die Konsequenzen von Effizienz getriebenen Unternehmen in Krisenzeiten auf: Es fehlten Puffer, zum Beispiel Zwischenläger, um beispielsweise Ersatzteile schnell liefern zu können. Auch eng gekoppelte -internationale- Produktionsprozesse würden in Krisenzeiten problematisch werden, wenn der Ausfall einer Fabrik im Krisengebiet zu Zulieferengpässen und ggf. zu Produktionsstillstand in hiesigen Unternehmen führt.
An einem Praxisbeispiel stelle ich ein Unternehmen vor, dem es gelungen ist, diese und/oder ähnliche Stolpersteine zu umgehen. Rein zufällig steht mir dieses Unternehmen nahe 😊:
Es handelt sich dabei um die cartrans GmbH. In diesem familiengeführten, mittelständischen Unternehmen haben Vater und Sohn, trotz verschiedener Reibungspunkte über viele gemeinsam verbrachte Arbeitsjahre im Betrieb, in den vergangenen drei Jahrzehnten auf den relevanten strategischen Ebenen kluge Entscheidungen getroffen und damit gute Überlebensbedingungen in der Krise der Pandemie geschaffen:
1984 wurde die cartrans GmbH gegründet. .Zunächst fungierte das mit zehn Mitarbeitenden gestartete Unternehmen als Pannen-, Berge- und Abschleppdienst. Danach erweiterte sich die Produktpalette um die Rückholung von Pannenfahrzeugen aus ganz Europa. Ab Mitte der 90er Jahre kamen namenhafte Firmen aus dem Automotive-Bereich auf das Unternehmen zu.
DIFFERENZIERUNG STATT ABHÄNGIGKEIT
Aus der Vergangenheit ist mir noch gut die kontroverse Diskussion zwischen Oliver Hirth, Geschäftsführer der cartrans GmbH, und seinem Vater Heinrich Hirth, beide bis jetzt Gesellschafter des Unternehmens, in Erinnerung. Grund dieser Debatte war die Erweiterung der Kundensegmente: Sollte man am Bestehenden festhalten (Hirth sen.) oder die Kundenstruktur erweitern bzw. differenzieren (Hirth jun.)?
Im Ergebnis entschieden sich Beide zusammen für das zweite Standbein: die Organisation des sicheren und sichtgeschützten Transports von Erprobungsfahrzeugen und Prototypen. Der bestehende Kontakt zu den Autobauern half schließlich dabei, sich auch im Bereich des klassischen Neuwagentransports einen Namen zu machen. Inzwischen ist die cartrans GmbH einer der wenigen Komplettanbieter auf dem Segment der Transportdienstleistungen für Radfahrzeuge mit insgesamt 70 Beschäftigten und 45 eigenen Autotransportern.
Dabei ist Rückholung von Pannenfahrzeugen im Geschäftsmodell von cartrans in normalen Zeiten nach wie vor ein jährlich wiederkehrendes, daher auch gut planbares, sicheres Geschäft für das Unternehmen.
Durch die stark gebremsten Reisewellen 2020, insbesondere durch die Lockdown-Phasen zu Ostern und dann wieder ab Spätherbst, sind diese Aufträge zur Rückholung von Pannenfahrzeugen in diesem Jahr für das Unternehmen stark ein- bzw. fast vollständig weggebrochen. Die dadurch äußerst angespannte Auftragssituation konnte nur durch das mittlerweile differenzierte Transportangebot, welches seit diesem Jahr unter bestimmten Voraussetzungen sogar um Privattransporte erweitert wurde, zum Teil kompensiert werden.
Der Vorteil einer Differenzierung zeigt sich auch bei der Zusammenarbeit mit Externen:
ANSTELLE EINSEITIGER BINDUNGEN: NETZWERKE AUF- UND AUSBAUEN
cartrans pflegt seit Jahren gute Beziehungen zu Subunternehmern, um auch Spitzen in saisonalen Hochphasen oder unvorhergesehene Auftragseingänge gut bedienen zu können. Ähnlich einer „atmenden Fabrik“ wird dabei die eigene Infrastruktur, unter anderem um die Anzahl der Fahrer und der Fahrzeugtransporte, nicht unnötig aufgebläht. Nur vor dem Hintergrund dieses „Puffers“ konnten in diesem herausfordernden Jahr Kosten dahingehend eingespart werden, keine Neu- sondern nur Ersatzinvestitionen zu tätigen. Denn im Bedarfsfall können die Kapazitäten, durch Zusammenarbeit mit den Subunternehmern, direkt hochgefahren werden.
Die diesjährige Risikoanalyse im Rahmen des Qualitätsmanagements nach DIN ISO 9001:2015 hat ergeben, dass der Pool an eigenen und fremden Werkstätten sowie weiteren Zulieferern, wie zum Beispiel Reifenhändlern dank des Fuhrparkleiters so aufgestellt ist, dass es auch im kommenden Jahr zu keinem Wartungs- und/oder Reparaturstau und zu keinen Lieferengpässen kommen kann.
Die Liquidität des Unternehmens ist trotz rückläufiger Umsätze in 2020 als sehr gut zu bezeichnen. Neben der Rückstellung von Neuinvestitionen kommen dem Unternehmen hier gute strategische Entscheidungen auch im Bereich der Finanzen zugute. Der solide Grundstein wurde bereits vor mehr als drei Jahrzehnten durch den damaligen Geschäftsführer Heinrich Hirth gelegt; dank seiner Vorgabe wurden erforderliche Investitionen stets eigenfinanziert. Insbesondere in diesem Jahr stark rückläufiger Umsätze schont diese Entscheidung die Kapitaldecke und sichert in der Konsequenz auch in diesem schwierigen Auftragsjahr die erforderliche Liquidität des Unternehmens.
GUTES KLIMA FÖRDERT DIE AKZEPTANZ VON ENTSCHEIDUNGEN; AUCH IN DER KRISE
Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde ich mit der Begleitung der Organisationsentwicklung bei cartrans beauftragt; meine „Expertise“ war gefragt. Von Beginn an war es meine Bedingung, nicht in das Unternehmen „einzusteigen“, sondern einen zeitlich befristeten und klar definierten Projektauftrag zu erhalten. So gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen meinem Mann als Geschäftsführer und mir als selbstständiger Beraterin von Beginn an professionell und auch für die Mitarbeitenden des Unternehmens klar rollendefiniert und abgegrenzt vom Privaten.
Mit meiner begleitenden Unterstützung hat das Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren -in Zusammenarbeit mit den Beteiligten- viele Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, um
Die dahinterliegende Mission lautet „unverzichtbarer Premiumpartner für die Kunden“ zu sein.
1. Dazu hat eine zweitägige Veranstaltung mit dem Thema „vom Ich zum Wir“ stattgefunden. 2. Aus einer Befragung zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit sind ein verbindlicher Verhaltenskodex sowie die für die Erreichung der Unternehmensziele relevanten Rollenbeschreibungen entstanden und verabschiedet worden. 3. Die Rolle „Sprecher Fahrervertretung“ wurde neu kreiert und mit 3 Fahrern besetzt. 4. Ein Ideenmanagement wurde aus der Taufe gehoben und bis dato aktiv genutzt. 5. Kommunikations- und Teamentwicklungstrainings sind durch externe Moderatoren durchgeführt worden.
Die Evaluation all dieser Maßnahmen haben sich die Mitarbeitenden für 2021 vorgenommen. Gleichwohl hat dieses Krisenjahr gezeigt, dass sich das Klima bereits verändert hat: Die gesamte cartrans-Belegschaft ist spürbar zusammengerückt. Eine sehr begrenzte Phase der Kurzarbeit im ersten Lockdown wurde gemeinsam getragen und es besteht nach wie vor großes Verständnis für entsprechende Krisenentscheidungen der Geschäftsführung. Aus der Belegschaft heraus entstanden und entstehen ungewöhnliche Ideen, die für das gesamte Unternehmen -nicht nur in der Krisensituation- effizienzsteigernd wirken.
ETABLIERTE STRUKTUREN FÜR EINEN SCHNELLEN AUSTAUSCH UND ZEITNAHE INFORMATIONEN HELFEN JETZT BEI KRISENKOMUNIKATION
Im Zusammenhang mit den oben genannten Zielen und Maßnahmen wurde die gesamte Kommunikations- und Interaktionsstruktur bei cartrans in den vergangenen zwei Jahren neu auf- und ausgebaut.
Dailys bzw Weeklys sorgen nun für den schnellen, nachhaltigen und unkomplizierten Austausch in allen Bereichen. Für Entwicklungen in den Feldern Strategie, Qualitätsmanagement, Führung und operative Prozessabstimmungen gibt es nun bereichs- und hierarchieübergreifende Themenrunden; zum Informationsaustausch sowie zu Essen und Trinken kommt das gesamte Team - derzeit auch unter Corona-Bedingungen bzw. Auflagen - einmal im Monat zusammen.
Diese Struktur hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen besonders bewährt; der notwendige, schnelle Austausch, erforderliche Kurskorrekturen und eine transparente Kommunikation konnten gewährleistet werden.
ES GIBT KEINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEITEN: GESCHÄFTSMODELLE IMMER WIEDER AUF DEN PRÜFSTAND STELLEN UND WEITERENTWICKELN
Gespräche und Austausch mit Mittbewerbern und weiteren, relevanten Branchenteilnehmern führen, Kundenrückmeldungen jeglicher Art fördern und einfordern, stets das Ohr an weiteren Möglichkeiten für neue; andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel den Transport von Elektromobilen, haben, und immer Augen und Ohren auf: So hat eine Sendung über Oldtimer meinen Mann auf die Idee gebracht, dieses Marktsegment wieder stärker in Betracht zu ziehen.
Die Segel sind gut gesetzt: Es bleibt zu hoffen, dass cartrans damit auch weiterhin dem immer heftiger werdenden Wind der Pandemie trotzen kann.
Ihre AHH